Der Stadtteil
St. Pauli ist der berühmteste Hamburger Stadtteil, aber auch nach wie vor einer der ärmsten. Die Bewohner_innen dieses Stadtteils haben schon seit jeher mit mannigfaltigen Benachteiligungen und Widrigkeiten zu kämpfen. Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug über Generationen hinweg führen nicht nur bei vielen Erwachsenen zu einem ständigen Gefühl der Aussichtslosigkeit, sondern rufen auch gerade bei den Kindern und Jugendlichen Resignation und Perspektivlosigkeit als dauerhafte Lebenseinstellung hervor. Hinzu kommt das Gefühl, ausgegrenzt zu werden und am unteren Rand der Gesellschaft isoliert zu sein.
Gleichzeitig ist St. Pauli vital und überaus vielschichtig. Es existiert ein lebendiges Nebeneinander und Miteinander verschiedenster (Sub)Kulturen, ein hohes Maß an Toleranz und Nachbarschaftlichkeit. Knapp ein Drittel der Bevölkerung besitzt eine ausländische Staatsbürgerschaft. Es gibt in St. Pauli-Süd eine vergleichsweise hohe Identifizierung mit dem Stadtteil. Nachbarschaftshilfe, intakte soziale Strukturen und eine hohe Toleranz gegenüber Anderen sind nicht nur Mythos.
Der Stadtteil ist gemessen am Hamburger Durchschnitt 3-4 mal so dicht bebaut. Zu kleine Wohnungen, kaum Grünflächen, Vermüllung und Zerstörung des öffentlichen Raums verschlechtern die Lebenssituation. Bei vielen Menschen herrscht das Gefühl, im Großen und Ganzen nichts ändern zu können. Neben der Problematik durch die unmittelbare Nähe zum Kiez, bedeuten auch die ca. 22 Millionen TouristInnen pro Jahr sowie zahlreiche Großveranstaltungen eine ständige Belastung für die Bewohner_innen des Stadtteils.
Aktuelle Entwicklungen
St. Pauli erfährt insbesondere in den letzten Jahren einen enormen Veränderungs- und „Aufwertungs-“Prozess von dem die hier bereits lebende Bevölkerung weitestgehend ausgeschlossen bzw. betroffen ist. Vor gut zehn Jahren noch das ärmste Viertel Westdeutschlands, ist St. Pauli heute bei Neuvermietungen teurer als der Rest der Stadt. Durch Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, neue Investorenarchitektur und eine allein auf höchst möglichen Gewinn zielende Mietenpolitik findet eine unübersehbare Verdrängung statt. Das Viertel prägende Betriebe wie die Brauerei, Gemüseläden und kleinere Handwerksbetriebe sind verschwunden, die Bücherhalle ist geschlossen. Durch die, gemessen am bisherigen Durchschnitt, extrem teuren Neuvermietungen und Eigentumswohnungen ist eine immer stärkere Polarisierung zwischen Wohlhabend und Arm im Stadtteil wahrnehmbar.
Die Entwicklungen vollziehen sich auch vor dem Hintergrund der so genannten Globalisierung. Im globalen Wettbewerb setzt sich Hamburg in Konkurrenz zu anderen (Wirtschafts‑) Metropolen. Stadtentwicklung wird zunehmend unter dem Primat gesehen, günstige Standortfaktoren für Unternehmensansiedlungen, Investoren und für Touristik zu gewährleisten. Diese Entwicklungen verändern das Gesicht und die Gewerbestruktur enorm, strahlen aus auf Grundstücks- und Mietpreise und haben damit auch direkte Auswirkungen auf die Bevölkerung St. Paulis.
Das ist dramatisch: Denn zwischen Hafenrand und Reeperbahn – in St. Pauli-Süd, lebten, wie oben bereits beschrieben, bisher viele Menschen mit wenig Geld. Leuten, die nicht ins Raster passen, bietet der Stadtteil mit dem Schmuddelimage bis heute günstigen Raum, Treffpunkte, billige Kneipen, soziale Einrichtungen, kleine Jobs und kulturellen Anschluss. Doch nicht mehr lange: Wer hier seine Wohnung verliert, ist neuerdings gezwungen, den Stadtteil zu verlassen. So werden Menschen aus ihrem sozialen Gefüge gerissen, aus Lebenszusammenhängen, die ihnen ein Zuhause und Einkommen bieten, ganz gleich, wie rau manchem der Kiezalltag auch erscheinen mag. St. Pauli ist für diese Menschen der letzte verbliebene innerstädtische Raum.
Der Stadtteil befindet sich derzeit am Scheideweg: entweder er wird noch stärker als bisher Spekulationsort für High-Class-Immobilien und Eventabspielstätte für TouristInnen oder es verbleiben Orte für Menschen mit wenig Geld, Handwerk, Subkultur, Musik, Raum für Andersartigkeit, sozial gerecht und lebenswert